Weißt du, ich hab mich jetzt wirklich gefragt ob das Sinn macht hier (oder generell in diesem Forum) noch irgendwelche Themen zu diskutieren, die irgendwie eine technische Grundlage haben. Das liegt sicherlich jetzt nicht an dir, aber es gibt z.B. hier User die fragen in einem Öl-Thread, warum man denn über Öl diskutiert
. In anderen Threads möchte jemand etwas an seinem Innenraum individualisieren und dann kommen Fragen, wozu man denn SOWAS nur machen kann, oder alles Theoretische ist eh nur Stammtischgelabber - nervt nur noch...
Aber ok, wir können es ja mal versuchen. Wie gesagt, ich finde die Diskussion ja durchaus spannend.
Ich hänge hier mal die LL01 Datenblätter des Ravenol VST 5W-40 und Shell Ultra Helix 5W-40. Datzu noch eine Frischöl Analyse des VST.
Ein direkter Datenblattvergleich ist schwierig, weil der Weltkonzern Shell es nicht für nötig hält, wichtige Daten wie NOACK oder HTHS anzugeben, was ich schon unsympathisch finde... Trotzdem finde ich das Helix ist ein sehr gutes Öl - bestimmt aber nicht für 2Jahre und 30Tkm!!
Ich denke die Frage nach "was ich ein einem Datenblatt/Ölanalyse sehe" brauche ich nicht zu erklären, das solltest du mit deiner Expertise ja wissen wo "hinzuschauen" ist.
->Trotzdem: bitte dein Kommetar zu den angegebenen und gemessenen Werten aus dem DB und der Anylyse.
Meine persönliche Frischöl-Bewertung zu VST: Vollsynthetisch, hohes HTHS, hochwertige Additive gg Verschleiß (z.B. Wolfram), hoher NOACK, PAO Öl und trotzdem relativ geringe Sulfatasche für ein LL01.
Soviel zum theoretischen Teil.
Dann was aus der "realen Welt":
Ich habe noch einen Ölvergleich angehängt, da möchte ich erst mal nicht erwähnen welcher Motor oder Öl es ist.
Es ist aber der gleiche Motor, gleiches Einsatzprofil (viel Kurzstrecke aber auch gelegentliche hohe Autobahnbelastung und Rennstrecke).
-> Auch bitte hier deine Einschätzung dazu.
Danke.
Es gibt keinen Standard bei Produktdatenblättern, da sie streng genommen Werbeflyer sind. Das sieht man beim Ravenol Produktdatenblatt überdeutlich. Dort werden dem im 5W-40 verwendeten Viskositätsverbesserer alle eierwollmilchlegenden Saueigenschaften zugesprochen: scherstabil, sauber, hoher VI, Verschleißschützend und oxidationsstabil. Alles geht nicht, Jungs.
Die sog. Konzerndatenblätter benutzen wiederum untereinander sehr ähnliche Phrasen, die den Laien beeindrucken sollen. Beides ist MIR unsympathisch aber irgendwas muss man ja auch schreiben um Werbung zu machen. Eine Vorlage für ein perfektes Datenblatt habe ich aber auch nicht. Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass die Industrie mit noch mehr Messergebnissen ums Eck kommt aber da ist man zu vorsichtig, weil es immer einen Wettbewerber gibt, der gegen irgendwas klagen will. Dennoch gibt es auch mal harte Fakten bei dem einen oder anderen Datenblatt, die allerdings leicht übersehen werden können. Daher streuen die Angaben sehr von Firma zu Firma. Bei Sicherheitsdatenblättern geht es dagegen nüchterner zu.
Das Shell dürfte einen Noack von ca. 7% und eine HTHS-Viskosität von ca. 3,7 cP haben, also ähnlich zum Ravenol. Die marginalen Unterschiede, die da bei diesen beiden sehr beliebten Parametern teilweise diskutiert werden, merkt der Motor eh nicht und der Fahrer noch viel weniger.
Zu den Gebrauchtölanalysen. Ich sehe zwei Proben mit jeweils ca. 12tkm Laufzeit
- Alle Parameter zeigen, dass das Öl deutlich zu früh gewechselt wurde. Man könnte sagen, die Viskosität wäre zwar leicht reduziert (Gruß an die so scherstabilen Viskositätsverbesserer) aber die Auswirkungen auf den Verschleiß sind nicht sichtbar. Alles unter 10 ppm bei Al, Fe, Cu, Cr ist sehr gut. Alles in allem ein nicht weit vom Frischöl entfernter Zustand, der durch das IR-Bildchen rechts deutlich bestätigt wird
- Beide Gebrauchtölproben weisen ein sehr ähnliches, wenn nicht identisches Elementenprofil auf.
Alles in allem eine völlig unspektakuläre und geradezu langweilige Ölprobe, die man sich in seinem Motor wünscht, weil man weiß, dass es dort auch in Richtung 20tkm Intervall gehen könnte. Frage am Rande: Wir reden immer über 2 Jahre / 30tkm...Hat jemand von euch jemals mitgezählt, ob der BC es tatsächlich zulässt die 30tkm zu erreichen oder werden es letztendlich doch 28tkm, 25tkm oder 20tkm?
Zur Frischölanalyse des Ravenol:
Sie ist wie sie ist, kann ich wenig zu sagen.
Ich bin beim Thema Wolfram oder anderen exotischen Problemlösern vorsichtig, weil sie sehr oberflächenaktiv sind und anderen Additiven den Platz wegnehmen. Man muss sich eine zu schützende Oberfläche im Motor so vorstellen, wie einen leeren Raum in dem max. 10 Personen Platz finden. Es kommen nun zwei Jungs aus der Ester-Abteilung, zwei PAO-Freunde, zwei ZDDP-Verschleißschutzfreundinnen und vier Leute mit Putzzeug, die sogenannten Detergents. Dann haben wir noch einen Molbydän-Kollegen und zwei aus der Wolfram-Abteilung und nun wollen diese 13 Personen alle gleichzeitig in diesen Raum mit einer max. Kapazität von 10 Personen. Es ist klar, dass die kleinen, langsamen und schwachen draußen bleiben und damit ihre Aufgabe im Raum (also auf der Oberfläche) nicht verrichten können. Was das für den Motor bedeuten kann, ist klar. Eine Eigenschaft wird abgeschwächt.
Nun sind 10 Personen drin in dem Raum und der eine versteht sich mit dem anderen gut aber in der anderen Ecke gibt es Reibereien. Man würde sagen "Bei denen da drübern passt die Chemie einfach nicht". Exakt so ist es zwischen Additiv A und Additiv B, sie ziehen nicht am gleichen Strang. Also entstehen hier vielleicht Synergien und woanders Antagonismen (mir fällt das Gegenteil von Synergie nicht ein), also nachteilige Effekte auf die Performance des Öls. Auch hier wird klar was das für den Motor bedeuten kann. Ich erhöhe eine Eigenschaft und ziehe eine andere runter. Wir erinnern uns: Nichts ist ohne Nebenwirkung
Mir sind die Abhandlungen zu Titan, Molybdän und Wolfram bekannt aber sie wirken häufig nur im kleinen Maßstab, also im Labor und nicht im Vollmotor. Das folgende Bild stammt aus einer Disseration zum Thema Wolfram und seinen Auswirkungen auf Reibung und Verschleiß und es wurde Wolfram (WS2) verschiedenen Proben zugegeben und jeweils der Reibkoeffizienz und Verschleiß in einem einfachen Labortest gemessen. Unabhängig davon, dass sich diese Ergebnisse auf einen ganz bestimmten Test beziehen und in einem anderen ganz anders aussehen könnten, lese ich die Tabelle so, dass die beiden ersten Zeilen besagen, dass WS2 sowohl Verschleiß als auch Reibung drastisch reduziert. Hier wurde aber nur im Grundöl (PAO) verglichen. Ein fertiges Produkt hat aber viele weitere Komponenten.
Die letzten zwei in blau eingerahmte Zeilen zeigen sogar einen möglicherweise drastischen Anstieg vom Verschleiß durch Zugabe von WS2 im FERTIGÖL (!), wahrscheinlich, weil WS2 die Oberfläche zuerst besetzen konnte (WS2 ist sehr schnell auf den Oberflächen) bevor die etwas trägen aber wichtigen Jungs aus einer anderen Verschleißschutz-Abteilung dazu kommen konnten, siehe Vergleich oben mit den 10 Leuten...
Quelle:
https://tel.archives-ouvertes.fr/tel-01461622/document
Ich will hier Ravenol wegen des Wolfram-Additivs nicht diskreditieren, denn der kritische Leser wird dieses Ergebnis zwar zur Kenntnis nehmen aber letztendlich wäre ein Vollmotorentest die einzig sinnvolle Möglichkeit einen positiven/negativen Effekt des Additivs auf die Reibung/Verschleiß zu bestimmen und den haben wir nicht. Also denke ICH mir meinen Teil und ihr euren.
Wem das bis hier zu lang oder zu kompliziert war, dem kann gesagt werden, dass die einfachen Antworten auf dem Gebiet meistens nur in Scheisshäusern, Produktdatenblättern oder in der Regel Internetforen zu bekommen sind und entsprechend ein gutes Stück von der Wahrheit entfernt sind.